Die Gedichte von Ingeborg Endres-Hausler bescherten mir beim allerersten Lesen manch heftiges Deja-vu, jenes realitatserschutternde Gefuhl des Wiedererkennens, das mich schon oft bei Kunstwerken, die ich in Wahrheit nie zuvor erblickt hatte, geistig und korperlich anfasste. Adorno nennt diese Empfindung Schauer, bei Benjamin heisst sie Aura, bei Hegel das sinnliche Scheinen der Idee. Dieses Gefuhl des Wiedererkennens speist sich aus derselben Quelle wie der coup de foudre in der Liebe. Da bist Du ja endlich , denkt der Getroffene - und hat doch eine Sekunde vor der Begegnung noch nicht einmal geahnt, wer oder was ihm da in seinem Leben fehlte. Menschen, die zum ersten Mal am Meer stehen, empfinden Ahnliches. Alles ist berauschend neu, nie gesehen, nie gehort, nie gefuhlt, nie gerochen, nie solche Luft geschmeckt. Und dennoch ist ihnen alles tief vertraut. Weil jeder von uns das Meer in sich tragt. Verstorend, dieses Wiedererkennen. Eine Verstorung, die ein Zeichen fur den Wahrheitsgehalt eines Werks ist. Und wer in diesem Buch z. B. Wandlung, Ein Reisekleid oder Gaa aufschlagt, der spurt: Diese Gedichte sind in der Welt, als hatte es sie schon immer gegeben. Wie das Meer. Oder Wandrers Nachtlied von Goethe. Es ist die schlagartige Gewissheit: Nur so und nicht anders konnte es gemacht werden Bei der Betrachtung des Gesamtwerks fragt man sich dann: Was kann diese Autorin eigentlich nicht? Selbst das scheinbar beilaufig Hingetupfte entziffert sich bei naherem Hinsehen als abgrundtief-unauslotbares Kunst-Werk. Kongenial begleiten MICHAELA FRIEDRICHS Bilder die Texte. Nicht kommentierend oder die Sujets platt verdoppelnd, vielmehr im Sinne einer atmospharischen Schwesternschaft. Jedes einzelne Werk kann auch als Solitar bestehen. Gemeinsam aber erzeugen Text und Grafik eine so starke sensuelle Dichte, dass der ungreifbare, magische Sog der Lyrik beinahe anfassbar wird